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Ich seh etwas, das du nicht siehst

  • katrinflatscher
  • 1. Okt. 2024
  • 11 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 22. Nov. 2024

Antonie van Leeukwenhoek beim Mikroskopieren verschiedener Proben

Antonie van Leeuwenhoek (AI-Bild)


An einem Spätsommertag im Jahr 1674 macht ein junger niederländischer Textilwarenhändler einen Ausflug zu einem kleinen Süßwassersee in der Nähe seiner Heimatstadt Delft. In seiner Tasche hat er mehrere kleine Glasampullen und Röhrchen, die er immer mitzunehmen pflegt, wenn er in der Natur unterwegs ist. Bei seiner Rückkehr nach Hause sind die kleinen Gefäße dann stets gefüllt mit allerlei Proben, die er auf seinen Spaziergängen gesammelt hat: Fragmente zerbrechlicher Schmetterlingsflügel, schillernde Käfer, die tot am Wegesrand liegen, klebriges Baumharz oder kleine pelzige Moosstückchen, in denen, wenn er Glück hat, vielleicht auch noch ein paar Würmer oder Maden herumkriechen.


Diesmal will der Mann einige Wasserproben aus dem ufernahen Bereich des Sees nehmen, dort, wo man kleine braune Wölkchen aus Schlamm aufwirbelt, wenn man mit bloßen Füßen durchs Wasser watet. Die Wasseroberfläche ist trüb und an einigen Stellen von dunkelgrünen Schlieren durchzogen. Er entnimmt an drei unterschiedlichen Plätzen jeweils ein Röhrchen voll Wasser und macht sich damit auf den Weg nach Hause, um die Proben zu untersuchen.


In seinem Arbeitszimmer, in dem sich bereits ein Sammelsurium aus unzähligen Fläschchen, Schächtelchen und Röhrchen voller Proben stapelt, bewahrt er auch seine Linsen und optischen Instrumente auf. Er hat sie allesamt selbst entworfen und konstruiert, und er kann damit Objekte von ganz nahe und stark vergrößert betrachten.


Eifrig entnimmt er mit einer Pipette einen Tropfen der Seewasserprobe und platziert ihn vorsichtig auf die Spitze der kleinen Nadel, die direkt hinter der Linse angebracht ist. Mit angehaltenem Atem justiert er mit Hilfe der drei kleinen Schrauben die Position der Probe und deren Entfernung zur Linse, sodass er ein scharfes Bild sehen kann. Sein Auge ist durch die jahrelange Praxis im Mikroskopieren bestens geübt. Neugierig lässt er den Blick über die Bestandteile der Probe wandern, begutachtet Partikel und Strukturen und dreht zwischendurch an den Einstellschrauben, um den Tropfen millimeterweise im Blickfeld zu verrücken. Nach jedem Mal Nachstellen dauert es ein paar Momente, bis sich die Partikel und Schwebstoffe in der Flüssigkeit abgesetzt haben und das Bild wieder klar ist.


Plötzlich nimmt sein Auge eine unerwartete Bewegung wahr, obwohl der Tropfen schon zum Stillstand gekommen ist. Ganz am Rande seines Blickfelds wuseln unzählige winzige Kreaturen zwischen den unbeweglichen Bestandteilen umher. Einige haben lange, fadenartige Schwänze, andere sind kugelrund und scheinen in gemächlichen Spiralen durchs Wasser zu treiben. Sie sind zweifellos lebendig, denn sie sausen und flitzen durch den Wassertropfen wie ein aufgebrachter Insektenschwarm. Es müssen kleine Tierchen sein, kleiner als alle anderen, die er jemals zuvor zu Gesicht bekommen hat.


 „Ihre Bewegungen im Wasser waren so flink, so vielfältig, aufwärts, abwärts, im Kreis, dass ich nicht anders konnte als sie gebannt zu bestaunen.“ wird er später in einem Brief an die renommierte Royal Society of London schreiben. Die Tierchen nennt er darin „Animalcules“ – eine Wortschöpfung aus dem lateinischen Begriff für „kleine Tiere“.


Heute wissen wir, dass es sich bei diesen Animalcules um etwas gehandelt hat, das den Planeten Erde schon viele Hundert Millionen Jahre länger bevölkert als die Spezies Mensch. Wir kennen Animalcules heute unter dem Namen „Mikroorganismen“, und die Art, die der junge Mann an diesem Nachmittag vor über 300 Jahren entdeckte, waren höchstwahrscheinlich einzellige Protozoen. Er war damit der erste Mensch, der diese Lebewesen mit eigenen Augen sah, und dank dieser Entdeckung sollte er als „Vater der Mikrobiologie“ in die Wissenschaftsgeschichte eingehen. Und das, obwohl er eigentlich überhaupt kein Wissenschaftler war, sondern ein einfacher Textilhändler mit einem Faible dafür, die Welt von ganz nahe zu betrachten.


Leeuwenhoeks Animalcules, die wir heute unter dem Namen Mikroorganismen kennen

Animalcules (Bild, CC BY 4.0 , via Wikimedia Commons)


Antonie van Leeuwenhoek wird im Herbst 1632 im niederländischen Delft geboren. Seine Familie hat es in der Stadt zu Ansehen und Wohlstand gebracht und ist gut vernetzt innerhalb des holländischen Mittelstands. Der Vater, der stirbt, als Antonie erst fünf ist, entstammt mehreren Generationen von Korbmachern, die Mutter kommt aus einer angesehenen Braumeisterfamilie.

Sie ist es auch, die Antonie im Alter von 16 nach Amsterdam schickt, um dort bei einem Verwandten eine Lehre zum Tuchhändler zu machen. Zur damaligen Zeit ist das eine angesehene Profession. Die Niederlande befinden sich im 17. Jahrhundert in einer Phase wirtschaftlichen Wohlstands, die als „Goldenes Zeitalter“ bekannt ist. Der Handel floriert, und vor allem Textilien sind ein gefragtes Gut, das nach ganz Europa und darüber hinaus exportiert wird.


Bei seiner Arbeit mit den wertvollen Stoffen entwickelt der junge Leeuwenhoek eine Leidenschaft für Vergrößerungsgläser, die von den Tuchhändlern der damaligen Zeit verwendet werden, um die Qualität und Webart der Textilien zu inspizieren. Er findet so viel Gefallen daran, dass er sich schnell nicht mehr nur auf Stoffe und Fasern beschränkt, sondern alles untersucht, was ihm interessant erscheint: Die damals gebräuchlichen optischen Werkzeuge sind noch sehr einfach aufgebaut und haben noch nichts mit den hochpräzisen Linsen gemeinsam, die heute in der Optik und Mikroskopie verwendet werden. Dennoch ist Leeuwenhoek fasziniert von der Möglichkeit, die kleinsten Details von Objekten studieren zu können und Dinge auf eine Weise zu sehen, die den meisten anderen verborgen bleibt.


1652 kehrt er nach Delft zurück und eröffnet ein Fachgeschäft für Textilien und Herrenausstattung, das die ansässigen Schneidereien mit Stoffen, Garn und Nähutensilien beliefert. Etwa zu der Zeit lernt er auch seine erste Frau Barbara de Mey kennen, mit der er eine Familie gründet. Von den vier Kindern, die sie gemeinsam bekommen, sterben allerdings drei schon im frühen Kindesalter. Auch Barbara erliegt 1666 einer Infektion, und Leeuwenhoek heiratet einige Jahre später ein weiteres Mal – die Tochter eines Geschäftspartners, Cornelia Swalmius.


Mit nur 29 Jahren wird er dank seines guten Rufs und des hohen Ansehens seiner Familie zum Kammerherrn der Stadt Delft ernannt – eine Position, die er fast 40 Jahre innehaben soll. Sehr anspruchsvoll sind die damit verbundenen Aufgaben nicht: Er muss die Instandhaltung, Reinigung und Beheizung des Rathauses beaufsichtigen, Versammlungen des Stadtrats organisieren und über die Inhalte der Sitzungen Stillschweigen bewahren. Der geringe Arbeitsaufwand und das zusätzliche Einkommen als Staatsbediensteter kommen Leeuwenhoek sehr gelegen. Schließlich ermöglichen sie ihm, sich weiterhin ausgiebig dem Hobby der Mikroskopie zu widmen.

Mikroskopie im 17. Jahrhundert, Mikroskop von Robert Hooke

Mikroskopie im 17. Jahrhundert (Bild, CNX OpenStax, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)


Das Mikroskop ist zwar zu der Zeit bereits erfunden (von wem, weiß man nicht genau), aber nur wenigen Gelehrten vorbehalten. Angelehnt an die von Galileo Galilei konstruierten Teleskope, mit denen man Objekte in weiter Ferne betrachten kann, bestehen Mikroskope üblicherweise aus mehreren geschliffenen Linsen und gekrümmten Spiegeln, die es dem Betrachter ermöglichen, ein Objekt ganz aus der Nähe zu untersuchen.


Leeuwenhoek beschäftigt sich in erster Linie mit den Linsen selbst. Er tüftelt an stets besseren Versionen, mit denen er noch viel kleinere Strukturen als bisher sichtbar machen kann. Seine Konstruktionen sind simpel, aber hocheffektiv und – wie sich im Lauf der Zeit herausstellen wird – den anderen optischen Instrumenten der damaligen Zeit weit überlegen.


Wie genau er es schaffte, Linsen in dieser enorm hohen Qualität herzustellen, ist bis heute unbekannt. Zeitlebens gewährt er niemandem Einblick in seine Konstruktionstechnik, und es gibt auch keine Aufzeichnungen, die den Herstellungsprozess dokumentieren. Nur durch Rekonstruktionen und historische Analysen haben wir heute eine ungefähre Vorstellung davon, wie er seine optischen Instrumente fertigte. Vermutlich schmolz er dafür hochwertiges Rohglas und schliff kleine ausgehärtete Tropfen davon in minutiöser Handarbeit zu konvexen Linsen. Diese polierte er sorgfältig und spannte sie dann zwischen zwei dünnen Metallplättchen ein, die er dicht vors Auge halten konnte, um Dinge von ganz nah betrachten zu können. Als Beleuchtung dienten ihm natürliche Lichtquellen und einfaches Tageslicht.


Über 500 solcher Konstruktionen soll Leeuwenhoek im Laufe seines Lebens gebaut haben. Die hochwertigsten davon erreichen eine 275-fache Vergrößerung, was selbst für Präzisionsinstrumente der heutigen Zeit ein sagenhafter Wert ist. Mit diesen Instrumenten analysiert er ab den frühen 1670er Jahren alles, was er in die Finger bekommen kann: Fasern, Haare, Pflanzenbestandteile, Lebensmittel vom örtlichen Markt, Teile von Insekten und kleinen Säugetieren. Seine Beobachtungen notiert er akribisch in Journalen und skizziert per Hand jedes kleinste Detail, das er identifiziert.


Antonie van Leeuwenhoeks Linsen und Mikroskope

Leeuwenhoeks Linsen und Mikroskope (links via Picryl, public domain), rechts, CC BY 4.0 , via Wikimedia Commons)


In Delft spricht sich schnell herum, dass der städtische Kammermeister und Tuchhändler Leeuwenhoek allerlei wundersame Entdeckungen gemacht haben will, die der Rest der Welt noch nie gesehen hat. Auch der Delfter Arzt Reinier de Graaf hört davon. Nach mehreren Besuchen bei Leeuwenhoek, bei denen ihm dieser die Skizzen seiner Beobachtungen zeigt und ihn sogar selbst einen Blick durch seine Mikroskope werfen lässt, schreibt de Graaf einen Brief an die Royal Society, eine der zu der Zeit renommiertesten Wissenschaftsgesellschaften der Welt.


Im Jahr 1660 als „Royal Society of London for Improving Natural Knowledge“ (auf Deutsch: „Die Königliche Gesellschaft von London zur Förderung des Naturwissens“) in London gegründet, hat sie sich zur Aufgabe gemacht, Wissenschaftler und Naturforscher aus aller Welt zusammenzubringen, um ihr Wissen zu sammeln und den aktiven Austausch zwischen den Disziplinen zu fördern. 


De Graaf unterrichtet den Sekretär der Royal Society, Henry Oldenburg, über die faszinierenden Dinge, die er durch Leeuwenhoeks Linsen gesehen hat, und hebt hervor, dass er noch nie Mikroskope von nur annähernd so guter Qualität gesehen habe. Seinem Schreiben legt er einen Brief von Leeuwenhoek selbst bei, in dem dieser seine bisherigen Entdeckungen über die mikroskopische Struktur von Bienenstacheln und Pilzsporen beschreibt.


Die Royal Society veröffentlicht diesen Brief 1673 in ihren Philosophical Transactions, dem Fachjournal, in dem schon Wissenschaftsgranden wie Isaac Newton, Michael Faraday und Charles Darwin ihre Arbeiten publiziert haben. Dieser erste Brief, datiert auf den 28. Oktober 1673, legt den Grundstein für Leeuwenhoeks Anerkennung als fähiger Mikroskopierer mit einer außerordentlichen Beobachtungsgabe, und markiert den Beginn seiner über 50 Jahre andauernden Korrespondenz mit der führenden Wissenschaftsgesellschaft der Welt.


Bei vielen Mitgliedern der Society stoßen Leeuwenhoeks Berichte allerdings auch auf Skepsis. Da es bis dahin noch keine vergleichbare Technik gibt, können sie die bemerkenswerte Vergrößerung und Präzision seiner Mikroskope nicht nachvollziehen und stören sich daran, dass Leeuwenhoek keine genauen Details über die Anfertigung seiner Linsen verraten will. Außerdem handelt es sich bei dem eifrigen Briefeschreiber nicht um einen Fachkollegen, sondern um einen einfachen Textilhändler ohne jegliche Ausbildung in den wissenschaftlichen Künsten, der noch dazu kein Latein oder Griechisch beherrscht (die Sprachen, in denen die Gelehrten der damaligen Zeit ihre Forschungsergebnisse auszutauschen pflegen).


Wissenschaftler der Royal Society of London

Wissenschaftler der Royal Society of London (Public Domain, PDM 1.0)


Auch Leeuwenhoek selbst ist sich bewusst, dass sein Standing unter den „echten“ Wissenschaftlern als Laie und Autodidakt nicht besonders hoch ist. In einer seiner Korrespondenzen entschuldigt er sich sogar dafür, dass er die Berichte seiner Beobachtungen lediglich auf Holländisch verfassen und noch dazu ziemlich schlecht zeichnen könne. Die honorigen Experten der Wissenschaftsgesellschaft mögen daher doch bitte nachsichtig mit ihm und seinen laienhaften Beschreibungen und Skizzen sein. Jedoch versichere er, dass er alles, was er schildert, tatsächlich mit eigenen Augen gesehen und wahrheitsgetreu beschrieben habe.


Als er dann 1674 (in seinem heute wohl berühmtesten Brief) von den Animalcules aus dem Delfter See berichtet, sorgt das in der Royal Society erst recht für Aufruhr. Es ist eine Sache, bereits bekannte Dinge aus der Natur zu mikroskopieren und darüber zu berichten. Aber die Idee, dass es Kleinstlebewesen geben soll, die kein anderer Forscher jemals zu Gesicht bekommen hat, erscheint den meisten Fachleuten ungeheuerlich und völlig unglaubhaft.


Im 17. Jahrhundert ist das Verständnis des Lebens und der Natur nach wie vor stark von religiösen und metaphysischen Überlegungen beeinflusst. Die meisten Menschen akzeptieren nur sehr zögerlich neue Denkmodelle, die ohne göttliche Einflussnahme als Erklärung auskommen. Vor diesem Hintergrund erscheinen Leeuwenhoeks Aussagen vielen fast schon blasphemisch.


Um die Berichte zu verifizieren, schickt die Royal Society eine Gruppe von Experten nach Delft. Sie sollen sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass Leeuwenhoeks Linsen tatsächlich so exzellent sind, dass sie eine bessere Vergrößerung erreichen als andere Mikroskope. In eigenen Experimenten sollen Forscher der Society außerdem überprüfen, ob sie damit die Existenz der winzigen Lebewesen bestätigen können, die Leeuwenhoek entdeckt haben will.


Und tatsächlich halten dessen Beobachtungen der eingehenden Prüfung stand. Die Experten, darunter der anerkannte Naturforscher Robert Hooke, der in den 1660er Jahren das berühmte Buch „Micrographia“ veröffentlicht und darin als Erster den Begriff „Zelle“ geprägt hat, kommen schließlich nicht darum herum, Leeuwenhoeks Beobachtungen zu bestätigen und ihm Anerkennung zu zollen.


Nach der Entdeckung der Mikroorganismen, die sich später als seine bedeutsamste erweisen wird, stößt Leeuwenhoek noch auf viele weitere Dinge, die noch niemand vor ihm beobachtet hat. Er entdeckt zahlreiche weitere Arten von Animalcules, darunter Bakterienarten, die er in seinem eigenen Zahnbelag findet, einzellige Eukaryoten und Algen in See- und Regenwasser.


1677 macht er eine weitere revolutionäre Entdeckung – diesmal eine, die das Verständnis der menschlichen Reproduktionsbiologie nachhaltig verändern wird. Als erster Mensch beobachtet er lebende Spermien in seiner eigenen Samenflüssigkeit und schlussfolgert korrekt, dass es sich bei den „Samentierchen“ um die männlichen Fortpflanzungszellen handeln muss. Mit der Vermutung, jedes Spermium würde einen kompletten kleinen Menschen, einen sogenannten „Homunculus“, enthalten, der dann nur noch im Körper der Frau ausreifen müsse, liegt er allerdings falsch.


Da Sexualität im 17. Jahrhundert noch stark tabuisiert ist, teilt er die Entdeckung nur zögerlich mit der Royal Society. Er bittet die Vorsitzenden sogar, seine Beobachtungen zu ignorieren, falls sie sie als unangemessen oder zu anstößig für die Öffentlichkeit erachten würden. Er versichert außerdem, dass die analysierten Proben nur von ihm selbst stammen und ausschließlich im Zuge des ehelichen Beischlafs genommen worden seien – schließlich gilt Masturbation zu der Zeit als Sünde.


Mikroskopische Spermatozoen, Skizze von Antonie van Leeuwenhoek

Spermatozoen (Bild von Benedict Wydooghe, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons)


Auch viele weitere seiner Studien über die Bestandteile des menschlichen Körpers macht er im Selbstversuch - eine Praxis, der viele Wissenschaftler der damaligen Zeit nicht abgeneigt sind. Er nimmt sich selber Blut ab und identifiziert darin die roten Blutkörperchen (Erythrozyten), mikroskopiert Zahnbelag aus seinem Mund und analysiert sogar seinen eigenen Mageninhalt, um die Struktur von Speiseresten zu untersuchen.


Nach unzähligen Beiträgen und Veröffentlichungen erweist die Royal Society Leeuwenhoek 1680 schließlich die größte Ehre, die einem Nichtwissenschaftler zuteilwerden kann: Sie nimmt ihn als vollwertiges Mitglied in die Gesellschaft auf. Seine außergewöhnlichen Beiträge zur Wissenschaft, insbesondere auf dem Gebiet der Mikroskopie, bekommen dadurch die Anerkennung und Würdigung, die ihnen gebührt.


Leeuwenhoek verbringt sein gesamtes restliches Leben mit der mikroskopischen Forschung, und seine Entdeckungen finden auch weit über die Grenzen der Wissenschaftswelt hinaus ein reges Interesse. Zahlreiche Berühmtheiten, Aristokraten und sogar Staatsoberhäupter statten ihm Besuche in Delft ab, um mit eigenen Augen die wundersamen Miniaturkreaturen sehen zu können, die dem Rest der Welt verborgen bleiben. Darunter sind Queen Mary II. von England, der Philosoph John Locke und Peter der Große, der Zar von Russland. Renommierte Wissenschaftler wie der Physiker und Astronom Christian Huygens (selbst ein Experte im Bereich der Optik) und der irische Zoologe William Molyneux gehören ebenfalls zu seinen Besuchern. Dieser wird später berichten, dass Leeuwenhoek ihn zwar durch zahlreiche seiner Mikroskope blicken habe lassen, jedoch nicht durch die hochwertigsten, die ausschließlich ihm selbst für seine privaten Beobachtungen vorbehalten seien.

 

Das Wissen über Mikroorganismen gehört für die meisten Menschen heutzutage zur Grundbildung. Schon Kinder lernen heute, was Bakterien sind und welche Rolle sie in der Natur und im Körper spielen. Aber obwohl es heute nur noch selten geschieht, dass jemand völlig neue Lebensformen wie die Animalcules entdeckt, wäre es dennoch kurzsichtig und vermessen, zu glauben, wir hätten bereits alles Sehenswerte in der Welt gefunden.


Antonie van Leeuwenhoeks Geschichte beweist, dass es manchmal weder langjährige Ausbildungen noch akademische Titel braucht, um etwas Bedeutsames zu entdecken, das unser Verständnis der Welt für immer verändert. Worauf es ankommt, sind Ausdauer, Geduld und Neugier.


Seine Geschichte sollte uns aber vor allem daran erinnern, dass alles, was wir mit unseren bloßen Augen sehen können, nur ein winzig kleiner Teil der Wirklichkeit ist. Der Großteil des Lebens ist für das menschliche Auge unsichtbar, da es auf einer Größenebene stattfindet, die viel kleiner ist als all die Dinge, die unseren Eindruck der Realität ausmachen. Wir verstehen erst einen Bruchteil dieser mikroskopischen Welt, und es ist bemerkenswert, was man dort alles entdecken kann, wenn man nur genau hinsieht.




Quellen:


Lane, N. (2015): The unseen world: reflections on Leeuwenhoek (1677) ‘Concerning little animals’ Phil. Trans. R. Soc. B37020140344, (https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rstb.2014.0344)


Robertson LA. Antoni van Leeuwenhoek 1723-2023: a review to commemorate Van Leeuwenhoek's death, 300 years ago, for submission to Antonie van Leeuwenhoek journal of microbiology. 2023;116(10):919-935.


Dobell, C. Antony van Leeuwenhoek and his “Little Animals”, published on the 300th anniversary of his birth (in Auszügen), Biodiversity Heritage Library, https://www.biodiversitylibrary.org/item/47806 (aufgerufen am 30. September 2024)


Anderson D. 'Your most humble servant': the letters of Antony van Leeuwenhoek. FEMS Microbiol Lett. 2022;369(1):fnac007.


Illustrationen der Arbeit von Antonie van Leeuwenhoek: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Illustrations_from_the_work_of_Antonie_van_Leeuwenhoek , aus Wikimedia Commons, freies Medienarchiv (aufgerufen am 30. September 2024)


Rajan Datar (Moderator). Leeuwenhoek: The fabric seller who discovered bacteria. (Audio-Podcast). The Forum, BBC World Service (22. Juli 2019)


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